Volume VII – 2008
The seventh volume of Gegenwartsliteratur appeared in October 2008; ISBN: 3-86057-578-9. The table of contents gives abstracts of the essays that are included in this volume:
Inhaltsverzeichnis/Table of Contents
Schwerpunkt/Focus I : Literatur und Film
CARSTEN STRATHAUSEN
The Relationship Between Literature and Film: Patrick Süskind’s Das Parfum
The relationship between literature and film is studied both from a methodological and an interpretative point of view. The main argument is that the currently reigning semiotic and Marxist approaches should be supplemented by a physiological approach, one that (again) recognizes the bodily dimension of aesthetic criticism. The second part of the essay outlines the premises of such an aesthetic via reference to recent studies in the neurological and cognitive sciences. Finally, a comparison between Patrick Süskind’s novel Das Parfum (1986) and its recent cinematic adaptation by Tom Tykwer (2006) is offered. How do book and film differ in their attempts to render the sense of smell palpable to their audience? Süskind’s novel is more successful than Tykwer’s film in representing smell not in spite of, but because of the sensual-semiotic poverty of words as opposed to images and sound.
(StrathausenC@missouri.edu)
INGEBORG HOSTEREY
Filmadaption und Intermedialität: Patrick Süskinds Roman Das Parfum in Tom Tykwers Regie
In einer Zeit ständig zunehmender Dominanz visueller Kultur hat sich auch das Genre der Literaturverfilmung emanzipiert. Das traditionelle Mandat der “Werktreue”, d.h. der möglichst nahtlosen Aneignung der literarischen Vorlage, weicht nunmehr filmspezifischen Prioritäten. Tom Tykwers Verfilmung des phantastischen Romans von Patrick Süskind setzt auf Adaptionsstrategien, die der Eigenstruktur des kinematischen Mediums entgegenkommen. Wie aber war die magisch-realistische Textualität des Buches zu visualisieren, wie die Wiedergabe von fiktionalem Bewusstsein? War die postmoderne Doppelkodierung des Romans in die Filmerzählung einzubringen? Bei allen formalen Freiheiten, die sich der Film Das Parfum nimmt, veranschaulicht er die Konfliktsituation jeder Adaption, in der das Literarische und das Filmische aufeinandertreffen. Mit ihrem intermedialen Ansatz unternimmt es die Studie, dieses Verhältnis zu problematisieren, um es neu zu sehen.
(ihoestere@aol.com)
LOTHAR VAN LAAK
Literarische und filmische Anthropologie: Süskinds Das Parfum in der Verfilmung durch Tykwer/Eichinger
Die Debatte der Literatur- und Medienanthropologie wird im Blick auf die Verfilmung von Süskinds Parfum weiter entwickelt. Dafür werden drei Bestimmungen aufgegriffen, die schon in der frühen filmtheoretischen Debatte zwischen Béla Balász und Robert Musil wichtig waren: erstens der Erkenntnischarakter in der Wahrnehmung des jeweiligen Mediums und zweitens die besondere Erlebnisförmigkeit der ästhetischen Erfahrung des Films. Diese liegt drittens in der Präsentativität der Darstellung begründet. Die Parfum-Verfilmung präsentiert den Geruchssinn in seiner sozial desintegrierenden Wirkung, wie sie Georg Simmel beschrieben hat. Mit dem Übergang von einer Literatur- zu einer Filmanthropologie wird den sinnlichen Aspekten gegenüber den diskursiven Verfahren der Literatur mehr Gewicht verliehen. Damit werden auch die Auffassung vom Menschen und die Aufgabe der Kunst neu bestimmt: Die Kunst stellt den Menschen im Imaginären des Films anders da.
(lothar.van.laak@uni-bielefeld.de)
CHRISTINA GERHARDT
Surveillance Mechanisms in Literature and Film: Die verlorene Ehre der Katharina Blum by Böll and Schlöndorff/von Trotta
Heinrich Böll’s story Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1974), along with Volker Schlöndorff and Margarethe von Trotta’s 1975 cinematic adaptation, participate in debates prevalent in the 1970s about the relationship between government, juridical institutions and the corporate media. Böll’s novel sheds light on two aspects of the response to terrorism: the media, and surveillance by the authorities. With debates on terrorism once again dominating the public discourse, revisiting these texts may be illuminating. The essay examines how Böll’s story and Schlöndorff and von Trotta’s film both explore the subject of surveillance mechanisms, but how each does so focusing on properties unique to its medium: while the story thematizes the written record, the film emphasizes the scopic gathering of evidence.
(crgerhardt@googlemail.com)
MAREIKE HERRMANN
The Spy As Writer: Florian Henckel von Donnersmarck’s Das Leben der Anderen
The essay highlights the film’s probing of the relationship between writing, truth, and power and examines the questions of complicity and resistance in the transformation from a loyal servant of the state into a rebel who protects his victim, a celebrated dramatist. While the playwright undergoes a transformation from creator of fiction to journalistic writer, the Stasi agent becomes a creative writer. The article follows the characters’ development as writers, framed by post-unification debates about the relationship between the Stasi and literature in the GDR, and it also examines the film’s intertextual references to Brecht. I argue that, while drawing on Hollywood genre conventions as well as Romantic notions of redemption, the film is built on layers of textuality and intertextuality that complicate its message of redemption.
(mherrmann@wooster.edu)
BIRGIT TAUTZ
Buch und Film: Charlotte Kerners/Rolf Schübels Blueprint
Blueprint erzählt die fiktive, in der Zukunft spielende Geschichte eines Tochter-Mutter-Klon-Paares. Hier verschränken sich Fragen der biologischen Reproduktion mit Fragen der Darstellbarkeit, der künstlerischen Repräsentation von persönlicher Identität in Literatur und Film und der intermedialen Reflexion über andere Künste, Medien und deren Reproduzierbarkeit. Der Aufsatz verdeutlicht, wie der Roman transmediale Bezüge zu Film, Fernsehen und Internet herstellt und so die konventionelle Logik der filmischen Adaption von Literatur modifiziert, wohingegen der Film intermedial in melodramatischen Genrekonventionen des Kinos verhaftet bleibt. Durch diese Lesart positioniert der Aufsatz die Debatte des Verhältnisses zwischen Literatur und Film in den weiteren Kontext von Medientheorie und digitalen Medienkulturen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert.
(btautz@bowdoin.edu)
MANFRED MITTERMAYER
Das Schweigen der Salzburger: Zur Verfilmung des Romans Silentium! von Wolf Haas durch Wolfgang Murnberger
Die Verfilmung des Kriminalromans Silentium! hat darin ihr Spezifikum, dass der Romanautor Wolf Haas auch bei der filmischen Übertragung mitwirkte. Der Beitrag stellt Roman und Film in die durch das Modell Thomas Bernhard repräsentierte Tradition eines literarischen Einspruchs gegen die offizielle Selbstdarstellung Salzburgs als Inbegriff von schöner Landschaft und Hochkultur. Ausgehend von einer Charakterisierung der Haas’schen Erzählerfigur und seiner Sprachform wird gezeigt, worin die Eigenart dieser Literatur besteht — und damit die Schwierigkeit ihrer filmischen Transformation. Anhand von zahlreichen Beispielen wird untersucht, wie die Filmemacher die Erzähltechnik und den Sprachwitz des Romans ins neue Medium übertragen haben. Zuletzt belegt die Analyse zweier zentraler Sequenzen, mit welchem Einfallsreichtum auch im Film ein dem Romandiskurs analoges Netz von Anspielungen und Querverweisen ausgefaltet wurde.
(manfred.mittermayer@sbg.ac.at)
Schwerpunkt/Focus II: Literatur und Erinnerung
KARL SOLIBAKKE
Transatlantische Gedächtnisperspektiven: Uwe Johnsons Jahrestage
Uwe Johnson zeigt, wie seine Protagonistin Gesine Cresspahl darum bemüht ist, eine europäische Vergangenheit erinnernd zu konstruieren. Hierbei entsteht der Entwurf eines auf den Erfahrungshorizont der Romanfigur konturierten transatlantischen Erinnerungsnarrativs, das traumhafte Reminiszenzen und konkrete Großstadterlebnisse in einen geräumigen Erinnerungsbestand zusammenbindet. Damit tragen Johnsons Jahrestage zur Entfaltung einer transatlantischen Erinnerungskultur bei. Noch vierzig Jahre nach den im Roman dokumentierten ‘Jahrestagen’ und ein Vierteljahrhundert nach dem Erscheinen des letzten Bandes der Tetralogie übt Uwe Johnsons opus magnum eine Faszination aus, weil die Globalisierung und der Widerspruch gegen uniforme Identitätskonzepte dazu herausfordern, den europäisch-amerikanischen Gedächtnisraum kulturwissenschaftlich zu erforschen.
(solibakke@phil-fak.uni-duesseldorf.de)
RAINER GODEL
Uchronische Erinnerung und erinnerte Uchronie: Zur Poetik Christoph Ransmayrs
Untersucht wird das Verhältnis von Erinnerung und Zeitlosigkeit in Christoph Ransmayrs Romanen Die letzte Welt (1988) und Morbus Kitahara (1995). Zunächst wird Ransmayers Poetologie analysiert, wie sie in der Salzburger Festspielrede “Die dritte Luft” (1997) vom Autor selbst dargestellt wird. Ransmayrs Texte gestalten eine komplexe Relation von Memoria und Uchronie, die die Gegenwart auslässt, indem sie die erinnerte Vergangenheit und die noch nicht manifeste Zukunft parabolisch verbindet. Durch die narrative Markierung von Differenzen und Mehrdeutigkeiten wird die Verstehens- und Reflexionsaktivität des Lesers angeregt. Die Prosa Ransmayrs bietet dabei kaum Identifikationsmöglichkeiten für den Rezipienten. Erforderlich ist ein kontrapunktisches Lesen, das nicht eine postmoderne Konstruiertheit von Geschichte, sondern die Bedingungen der Möglichkeit des Erinnerns sichtbar macht. (rainer.godel@netzwerk-arw.uni-halle.de)
SUSANNE RINNER
Intergenerational Conflicts and Intercultural Relations: Peter Schneider’s Eduards Heimkehr
The representation of memories of the German student movement in Peter Schneider’s Eduards Heimkehr (1999) are examined. These memories are linked to the postmemories (Marianne Hirsch) of the Holocaust, shedding new light on the significance of the student movement for ongoing attempts to come to terms with the National Socialist past. Juxtaposing Germany and the United States as “milieux de mémoire” and “lieux de mémoire” (Pierre Nora), the United States serves as a “Schauplatz” (Walter Benjamin), enabling the meeting between Eduard, a former student activist from Germany in search of his family’s history, and Edita, a Holocaust survivor. With ironic distancing, a female voice and the voice of a Holocaust survivor is added to the literary historiography of Germany’s 20th century.
(S_RINNER@uncg.edu)
CHRISTINE IVANOVIC
Exophonie, Echophonie: Resonanzkörper und polyphone Räume bei Yoko Tawada
Ausgehend von Yoko Tawadas eigener Verwendung des Begriffs wird Exophonie — potentielle Leitkategorie zur Beschreibung der zeitgenössischen ‘neuen Weltliteratur’ — als ein dem Schreiben der Autorin prinzipiell zugrunde liegendes transformatorisches Konzept diskutiert. In ihren Essays wie in ihrer Prosa bezieht sich Tawada dezidiert auf das fluktuierende Heraustreten von Stimme(n), das die Raumerfahrung prägt und das Ich zu einer Art Resonanzkörper werden lässt. In ihm wird der synchron wie diachron markierte Anspruch des Anderen (immer) wieder vernehmbar. Der Beitrag versucht daher dem interkulturell ausgerichteten Begriff der Exophonie die Idee der Echophonie zur Seite zu stellen, welche eine Rückbindung an ästhetische Konzepte ermöglicht wie die Echo-Theorie in Benjamins Übersetzeressay oder die für die (postkolonialistische) Literatur der Postmoderne neu diskutierte Auffassung der Welt als echo-monde.
(christine_ivanovic@hotmail.com)
YASEMIN YILDIZ
Political Trauma and Literal Translation: Emine Sevgi Özdamar’s “Mutterzunge”
This essay challenges prevailing assumptions about the relationship between migration and language in Özdamar’s writings. The loss of the mother tongue and the characteristic turn to literal translation in Özdamar’s best-known short text “Mutterzunge” have been explained by critics as a result of migration and its effects on language. However, close analysis reveals that the text ties this loss not to migration, but to the traumatic aftermath of anti-leftist political violence in 1970s Turkey. Moreover, the form of literal translation appears as a mode of working through political trauma rather than negotiating cultural difference. This reading suggests that analysis of the literature of migration needs to attend to form and affect in relationship to transnational histories.
(yy47@uiuc.edu)
BARBARA NEYMEYR
Narrative Zeitkritik und Rekonstruktion von Biographie: Markus Werners Roman Am Hang
In seinem Roman Am Hang macht Markus Werner eine Beziehungstragödie zum Medium kulturkritischer Diagnose und verleiht den Figuren dadurch ein zeittypisches Profil. Zu hermeneutischer Rekonstruktion fordert dieses Werk auf spezifische Weise heraus, indem es Leerstellen inszeniert und Fiktionalisierung auch als Strategie eines Protagonisten vorführt, der mithilfe ‘unzuverlässigen Erzählens’ seine Identität verschleiert und Teile seiner Biographie durch erfundene Episoden ersetzt. Der Aufsatz analysiert die individuelle Krisenerfahrung im gesellschaftlichen Kontext und berücksichtigt dabei auch den perspektivischen Charakter narrativ vermittelter Erinnerungen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Spannungsfeld von humaner Liebe und animalischer Libido. Außerdem werden intertextuelle Referenzen des Romans beleuchtet, darunter ein Hesse-Zitat und eine Ballade von C. F. Meyer, die im Roman eine Schlüsselfunktion erhalten.
(barbara.neymeyr@germanistik.uni-freiburg.de)
Rezensionen/Book Reviews
Vogel-Klein, Ruth, Hg.: W.G. Sebald. Mémoire. Transferts. Images. Erinnerung. Übertragungen. Bilder. (Adriana Cutieru)
Hage, Volker: Letzte Tänze, erste Schritte. Deutsche Literatur der Gegenwart. (Michael Braun)
Hadek, Nadja: Vergangenheitsbewältigung im Werk Martin Walsers. (Alexander Mathäs)
Nader, Andrés: Traumatic Verses: On Poetry in German from the Concentration Camps, 1933-1945. (Erin McGlothlin)
McGlothlin, Erin: Second-Generation Holocaust Literature: Legacies of Survival and Perpetration. (Leslie Morris)