Volume XIV – 2015

The fourteenth edition of the German Studies Yearbook appeared in November 2015. The ISBN is 978-3-95809-641-7. The table of contents below gives the abstracts of the essays published in the volume.

Inhaltsverzeichnis / Table of Contents

I. Tendenzen

Inge Stephan

Kälte als Topos in der Gegenwartsliteratur: Überlegungen zu Texten von Alexander Kluge, Robert Schindel und Elfriede Jelinek

Nach der Jahrtausendwende ist eine auffällige Zunahme von Texten zu beobachten, in denen ‘Kälte’ eine zentrale Rolle spielt. Man kann darin eine Reaktion auf die dramatischen ökologischen, politischen und sozialen Veränderungen in der Gegenwart sehen. Literatur- und kulturgeschichtlich betrachtet ist Kälte — reale oder gefühlte — schon immer ein wichtiger Indikator im Empfindungshaushalt der Geschlechter gewesen. ‘Wärme’ und ‘Kälte’ gehören zu den bevorzugtesten Metaphern im literarischen Feld. Schnee und Eis als spezifische Aggregatzustände des Wassers haben vor allem auf Künstler seit jeher eine  besondere Faszination ausgeübt. Ausgewählt sind drei sehr unterschiedliche Beispiele — ein Filmprojekt von Alexander Kluge, ein Theatertext von Elfriede Jelinek und ein Roman von Robert Schindel —, um zu  zeigen, wie unterschiedlich die Kältediskurse in der Gegenwart geführt werden.

(ingestephan44@yahoo.de)

II. Schwerpunkt: Zeitkritische Autorinnen / Engaged Literature by Female Authors

Elisabeth Krimmer

The Representation of Wartime Rape in Julia Franck’s Die Mittagsfrau and Jenny Erpenbeck’s Heimsuchung

This article analyzes the representation of the rape of German women by Russian soldiers in Julia Franck’s Die Mittagsfrau and Jenny Erpenbeck’s Heimsuchung. Stories of German victimization during World War II require a careful balancing act: on the one hand, they call for an empathic treatment of the victims; on the other hand, they need to be mindful of the political and historical context of German war crimes and the Holocaust within which such suffering occurred. As I will show, both Franck and Erpenbeck skillfully navigate the discursive traps and moral quandaries associated with the narrativization of WWII rapes. They refuse to remain silent about the rapes, but they also resist emplotments that minimize German guilt.

(emkrimmer@ucdavis.edu)

Nancy Nobile

“Ihr Erbteil”: The Legacy of Romanticism in Jenny Erpenbeck’s Heimsuchung

This article traces extended allusions to six works of German Romanticism threading through Jenny Erpenbeck’s Heimsuchung and examines how these intertexts comment on the foregrounded action of the novel.  It posits the house featured in this text as a Raum in which nameless characters enact the forward-looking projects, goals, and ideals of their respective political circumstances. The lake, however, forms an Ort: a deep reservoir of history and stories where trauma and suffering have already occurred.  Just as the lake marks the edge of the property, the characters most closely associated with it have been marginalized and silenced.  Yet voices from the past, in the form of intertexts, make themselves heard in this novel, and pass judgment on 20th-century events.  

(nobile@udel.edu)

Carrie Smith-Prei

Juli Zeh and the Desire for the Political in Contemporary Literature

Juli Zeh has often been singled out as one of the most publically engaged authors of her generation. Her writings display a commitment to the social, ethical, and political value of literature, as well as a belief in the impact that authors and the literary market can have on concerns of the present. This article explores the role of the political in defining “contemporary” as a literary category through an examination of a selection of Zeh’s nonfictional and fictional works. In this, it explicates how the “desire for the political” (Lauren Berlant) emerges as a self-aware position Zeh’s reader takes up with regard to the act of reading and the experience of the present in text.

(carrie.smith-prei@ualberta.ca)

Carsten Könneker

Kopenhagener Deutung versus Multiversum: Narrativierte Physik in Juli Zehs Roman Schilf

In ihrem Roman Schilf von 2007 bezieht Juli Zeh aus mehreren zentralen Diskursen der Grundlagenphysik erzählerische wie stilistische Impulse. Figurenkonstellation und -entwicklung, äußere Handlung sowie die Auseinan­der­setzung des Werkes mit klassischen ontologischen und epistemologischen Fragen belegen eine intensive Auseinandersetzung der Autorin insbesondere mit dem Problem des Messakts in der Quanten­mechanik und dessen widerstreitenden Interpretationen durch die Kopenhagener Deutung beziehungsweise die Paralleluniversen-Hypothese. Unter der Vielzahl von Zeit-Romanen der Gegenwartsliteratur, welche Anspielungen auf physikalische Zeit-Konzepte enthalten, sticht Schilf durch eine von der Forschung bislang nicht erkannte, bemerkenswert hohe Konsistenz von Theorie und Narration hervor. Die Integration naturwissenschaftlicher Inhalte erschöpft sich bei Juli Zeh nicht in einem enzyklopä­disch flankierten Erzählen; vielmehr narrativiert sie auf mehreren Ebenen gekonnt den Stoff der modernen Mathesis universalis.

(carsten.koenneker@kit.edu)

Leonhard Herrmann

Schwimmen in Formen und Zeiten:

Zur sozialkritischen Dimension von Terézia Moras komplexem Erzählen

Terézia Mora gilt als eine der meistdiskutiertesten deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart. Grund dafür ist insbesondere ihre offene und vieldeutige Erzählweise, die konkrete Bezüge zur Wirklichkeit nur vage andeutet oder gar gänzlich negiert. Der Beitrag deutet diese Erzählpoetik als Versuch einer literarischen Sozialkritik: Mora will – ohne sich darauf zu beschränken – die grundlegenden Strukturen menschlicher Sozialität aufzeigen und nutzt dazu die eigene Gegenwart exemplarisch. Ihre Texte zielen ab auf das generelle Verhältnis zwischen Einzelnem und Gesellschaft, das sie als unhintergehbar problematisch beschreiben. Dazu entwickelt die Autorin ein weites Spektrum narrativer Formen und bezieht sich häufig auf literarische Vorbilder, in deren Zentrum Ingeborg Bachmann steht.

(lherrma@uni-leipzig.de)

Paul Buchholz

Eco-Romanticism: Terézia Mora’s Der einzige Mann auf dem Kontinent and the Re-reading of Marlen Haushofer’s Die Wand

As a social critique, Terézia Mora’s novel Der einzige Mann auf dem Kontinent (2009) focuses on how consumerist cravings shape everyday routines and interpersonal relations. This article examines a complementary, but less obvious theme of Mora’s novel: the desire for an ecological alternative to the excesses of technological consumerism. Mora’s novel opens with an intertextual gesture towards Marlen Haushofer’s novel Die Wand (1963), a work that thematizes the destruction and restoration of human relationships to nature. I demonstrate the ways in which Mora’s novel appropriates, adapts, and resignifies Haushofer’s  cultural critique. Der einzige Mann considers the implications of “eco-romanticism” in the twenty-first century by tracing miscommunications between characters who approach anti-technological and  back-to-nature ideology from drastically divergent subject-positions.

(PBuchhol@scrippscollege.edu)

Eva Kormann

Risiko Schreiben in der flüchtigen Moderne: Kathrin Rögglas Variante einer littérature engagée

Die 1971 in Salzburg geborene,  in Berlin lebende Autorin Kathrin Röggla ver­fasst gegenwartsbezogene und gegenwartskritische Texte. Der Gegenwarts­bezug reicht von der grammatischen Tempusverwendung über das Verhandeln aktueller Befindlichkeiten, Problembereiche und Risiken in ihren Texten und das kritisch-spielerische Aufgreifen von Zeitgeistvokabeln sowie des Jargons ein­flussreicher gesellschaftlicher Gruppen bis hin zu ästhetischen Formen, die für eine Literatur der flüchtigen Moderne im Sinne Zygmunt Baumans bezeichnend sind. Diese formalen Eigenschaften ihrer Texte sind u.a. das Überschreiten von Genregrenzen, auch der Grenze zwischen Fiktionalität und Faktualität und zwischen literarischen und poetologischen Äußerungen. Zudem erzählen Rögglas Romane keine Geschichten: ihre Texte spielen meist an Nicht-Orten im Sinne Marc Augés. Rögglas Schreiben wird somit zu einer littérature engagée des 21. Jahrhunderts.

(eva.kormann@kit.edu)

Thomas Wortmann

Elemente einer negativen Ästhetik des Obszönen: Jelinek, Haneke, Die Klavierspielerin und das pornographische Sujet

Vermarktet wurde Hanekes Klavierspielerin als Skandalfilm — um damit an eine Strategie anzuschließen, die bereits der literarischen Vorlage zum Erfolg verholfen hatte. Als skandalöser Text gilt schließlich auch Jelineks Roman, der durch die explizite Schilderung devianter Sexualität Publikum und Kritik gleichermaßen provozierte. Irritiert zeigte sich auch die Lite­ra­turwissenschaft, die der Klavierspielerin wiederholt vorgeworfen hat, in ihrer Auseinander­setzung mit der Pornographie selbst zum Porno­gra­phischen zu tendieren. Diesem Zusammenhang widmet sich der Aufsatz: Vor der Folie kul­tur­wissen­schaft­licher Theoriebildung wird rekonstruiert, wie Roman und Film über inter­mediale Ver­weise pornographische Prätexte aufrufen, mithin Klassiker des Genres zitieren, um deren Dar­stellungs­kon­ventio­nen zu durchkreuzen; mittels sarkastischer Übertreibung bei Jelinek, mittels radikaler Negation bei Haneke. Was Text und Film dabei entwickeln, sind Elemente einer negativen Ästhetik des Obszönen.

(t.wortmann@uni-mannheim.de)

Ulrike Steierwald

Fluchtbewegung in Variationen: Herta Müllers Poetik im Spannungsverhältnis von Ästhetik und Politisierung

Herta Müllers Texte entziehen sich Funktionalisierungen, sind aber —  sobald sie in die mediale Öffentlichkeit eintreten — auf einem schmalen Grat zwischen gesellschaftlicher Relevanz und Vereinnahmung ausgesetzt. Der Beitrag nimmt Literatur, Poetologie und Inszenierung der Autorin gleichzeitig in den Blick und zeigt, wie sich hier eine Ritualisierung unabschließ­barer Wiederholungen von Erinnerung, Reflexion und Konfigura­tion vollzieht. Diese Variationen von sprachlichen und visuellen Verkörperungen der Texte wie der Autorin beschreiben eine Flucht­bewegung und widersetzen sich nicht nur politischen, sondern auch literaturwissenschaftlich-kuratorischen Positionierungen. Als Schriftstellerin immer schon Teil einer Öffentlichkeit, gibt es für Herta Müller keinen Raum des Unpolitischen. In einer Fluchtbewegung in Variationen stellt sich die “erfundene Wahrnehmung” der erlittenen Erfahrung, das literarische Schreiben der Nomenklatura, die inszenierte Figur der Autorin der politisch funktionalisierten Attrappe entgegen.

(ulrike.steierwald@uni.leuphana.de)

Natasha Gordinsky

Time Configurations: Olga Martynova’s Novel Sogar Papageien überleben uns

This article reads Martynova’s novel Sogar Papageien überleben uns as a tale about time, or, more precisely, times that are conflicting or incongruent. It focuses on the nature of one of the most familiar forms of temporality, namely, “our time”— the time in which we live. It argues that Martynova raises a two-part question: Can “our time” be defined and what is its essence? As this article demonstrates, Martynova explores this question from different poetic and epistemic angels, thus offering multiple perspectives on it, namely: by juxtaposing “biographical time” with “everyday time”, by understanding familiar time through the prism of historical time and finally, by viewing it as a meta-literary question.

(ngordinsk@univ.haifa.ac.il)

Necia Chronister

The Poetics of the Surface as a Critical Aesthetic: Judith Hermann’s Alice and Aller Liebe Anfang

Judith Hermann’s two most recent works Alice (2009) and Aller Liebe Anfang (2014) were met with a general consensus among critics that her minimalist prose and focus on the world of surfaces lacked substance. Certainly, one is hard pressed to call Hermann a socially engaged author in the same vein as many of her contemporaries who explicitly address Germany’s national history or larger global issues in their work. A closer evaluation of Hermann’s Poetik der Oberfläche illustrates, however, that by situating characters within constellations of objects, rather than in social circles, Hermann creates a socially critical view of our world that foregrounds the dominance of the consumer market and its implications for personal relationships in the age of neoliberalism.

(nchroni@ksu.edu)

Yannick Müllender

Reise als Rückkehr: Barbara Honigmanns Reisebericht Das überirdische Licht im Werkkontext

Reisen spielen eine herausragende Rolle in Barbara Honigmanns literari­schem Werk, das Selbstverständigungs­versuche wiederholt anhand unterschiedlicher Formen von Reisebewegung zur Gestaltung bringt. Physische Orts­wechsel korrelieren dabei mit inneren Reisen, die zurück in die Vergangenheit führen und Fragen von individueller wie kollektiver Identitätsfindung aufgreifen. Ausgehend von Honigmanns New Yorker Reisebericht Das überirdische Licht, der von der Kritik weitgehend verrissen wurde, diskutiert der Artikel die Bedeutung des Reisemotivs im Werk­zusam­menhang als erinnernde Rückkehr zu Stationen der eigenen Biografie und Familiengeschichte sowie seine Funktion als spezifische Form jüdischer Identitätssuche. Es wird danach gefragt, was die Reisenden bei Honigmann in das unterwegs Wahrgenommene hineinlegen, wie sie es im Vermittlungs­vorgang mit eigenen Erfahrungen neu verbinden und wie über das Motiv der Reise textübergrei­fende Verweisungs­zusam­men­hänge hergestellt werden.

(ymuellender@zedat.fu-berlin.de)

Alison Lewis and Esther Jilovsky

Witnessing, Intergenerational Memory, and the Stasi Archive: Susanne Schädlich’s Immer wieder Dezember

Writing by the children of dissidents who were forced to accompany their parents into exile in the 1970s and 1980s, often after extensive harassment by the Stasi, comprise a recent addition to the growing body of eyewitness testimony about the GDR. This article examines, in the context of secondary witnessing and intergenerational memory, the memoir Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich by Susanne Schädlich, the daughter of Hans Joachim and Krista Maria Schädlich. It focuses on the difficulties faced by the children’s generation in bearing witness to the family’s ‘betrayal trauma’ through the documents in the Stasi Archive. The Stasi files represent both an aid to personal memory and a stark reminder of the family’s persecution.

(lewisa@unimelb.edu.au; estherj@unimelb.edu.au)

Rezensionen / Book Reviews

COSGROVE, MARY. Born Under Auschwitz. Melancholy Traditions in Postwar German Literature. (Susanne Baackmann)

SCHLEY, FRIDOLIN. Kataloge der Wahrheit. Zur Inszenierung von Autorschaft bei W. G. Sebald. (Jan Behrs)

NORBERT OTTO EKE, Hg. “Nach der Mauer der Abgrund”? (Wieder-)Annäherungen an die DDR-Literatur. (Hunter Bivens)

ANKE S. BIENDARRA. Germans Going Global: Contemporary Literature and Cultural Globalization. (Imke Brust)

HORSTKOTTE, SILKE UND LEONHARD HERRMANN, Hgg. Poetiken der Gegenwart. (Svenja Frank)

LYN MARVEN AND STUART TABERNER, Eds. Emerging German-Language Novelists of the Twenty-First Century.  (Katharina Gerstenberger)

NIVEN, BILL. Representations of Flight and Expulsion in East German Prose Works.

EIGLER, FRIEDERIKE. Heimat, Space, Narrative: Toward a Transnational Approach to Flight and Expulsion. (Valentina Glajar)

FRIEDEN, KRISTIN. Neuverhandlungen des Holocaust. Mediale Transformationen des Gedächtnisparadigmas.(Susanne Haake)

BISCHOFF, DOERTE; KOMFORT-HEIN, SUSANNE, eds. Literatur und Exil. Neue Perspektiven. (Alan Itkin)

AGNESE, BARBARA, CHRISTINE IVANOVIC & SANDRA VLASTA, Hgg. Die Lücke im Sinn. Vergleichende Studien zu Yoko Tawada. (Suzuko Mousel Knott)

WOLFF, LYNN L. W.G. Sebald’s Hybrid Poetics: Literature as Historiography. (Rob Kohn)

GEORGOPOULOU, ELENI. Abwesende Anwesenheit. Erinnerung und Medialität in Marcel Beyers Romantrilogie Flughunde, Spione und Kaltenburg. (Jan Lensen)

IVANOVIC, CHRISTINE & SHINDO, SUGI, Hgg. Absprung zur Weiterbesinnung. Geschichte und Medien bei Ilse Aichinger. (Dagmar C. G. Lorenz)

PÓL Ó DOCHARTAIGH AND CHRISTIANE SCHÖNFELD, Eds. Representing the “Good German” in Literature and Culture after 1945: Altruism and Moral Ambiguity. (Jeffrey Luppes)

MARX, FRIEDHELM & JULIA SCHÖLL, Hgg. Wahrheit und Täuschung. Beiträge zum Werk Jenny Erpenbecks. (Beret Norman)

BRAUN, MICHAEL. Wem gehört die Geschichte? Erinnerungskultur in Literatur und Film.(Heike Polster)

SHEN, QINNA AND MARTIN ROSENSTOCK, Eds. Beyond Alterity: German Encounters with Modern East Asia. (Lee M. Roberts)

REBHANN, ANJA. Von Außen-und Innenräumen – Eine Analyse zeitgenössischer deutschsprachiger Science-Fiction-Literatur. (Evan Torner)